Donnerstag, 16. Januar 2014

Tulpenmanie und Goldwahn

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts brachten Niederländische Seefahrer ein paar unscheinbare Zwiebeln von ihren Fahrten nach Hause. Die daraus spriessenden Tulpen wurden gezüchtet, wurden zu Liebhaber- und später auch zu Spekulationsobjekten. Die Preise für spezielle Tulpenzüchtungen erreichten ungeahnte Höhen, zu Beginn des Jahres 1637 wurden prunkvolle Häuser an bester Lage gegen einige wenige Tulpenzwiebeln in Zahlung gegeben.

Dann, im Februar 1637 platzte die Blase. Es fanden sich keine Käufer mehr, die bereit waren, die massiv überteuerten Tulpenzwiebeln zu kaufen und die Zwiebeln verloren innert weniger Wochen rund 95% ihres Wertes. Man spricht noch heute vom ersten Börsencrash der Geschichte. Manch ein Händler verlor dabei sein ganzes Vermögen.

Tulpenfeld in Holland


Jetzt mögen wir vielleicht sagen: ja, wie dumm muss man denn sein, wenn man sein Haus gegen ein paar Zwiebeln tauscht? Aber wer beobachtet, wie jemand für drei Zwiebeln ein Pferd bekommt, eine Woche später die gleichen drei Zwiebeln für ein Fuhrwerk samt Ochse den Besitzer wechseln und wieder eine Woche danach jemand sein Häuschen auf dem Land für die selbigen drei Zwiebeln hergibt, ist es nur menschlich die folgende Gleichung zu machen: nächste Woche tausche ich meine Windmühle gegen diese drei Tulpenzwiebeln und eine Woche später bekomme ich eine ganze Strasse dafür!


Wer jetzt aber denkt, dass sich so etwas heute auf keinen Fall mehr wiederholen könnte, der sei sanft an den Goldpreis erinnert. Seit dem Jahre 2000 stieg der Goldpreis von knapp 300 USD auf 1900 USD im Spätsommer 2011. Dass die Kurve im folgenden Jahr alles andere als bullisch daherkam, scheint den meisten Analysten entgangen zu sein und die fallenden Preise wurden zunächst noch als harmlose Korrekturbewegung und willkommene Nachkaufgelegenheit angesehen. Bis der Goldpreis im Frühsommer 2013 auf 1180 USD hinunter rasselte. Okay, das sind keine 95% Wertverlust, aber irgendwie gleichen sich die Bilder der Tulpenmanie aus dem 17. Jahrhundert und des Goldwahns im 21. Jahrhundert doch verdächtig stark. Meines Erachtens war der Goldpreis 2011 einfach massiv überbewertet, da ist der momentane Preis bei rund 1250 USD schon bedeutend realistischer.


Goldbarren


Stellt sich nun noch die Frage, ob die Menschheit eigentlich nichts aus der Vergangenheit lernt. Wenn es um Geld geht, scheint unsere Spezies tatsächlich eine gewisse Lernresistenz zu entwickeln. Und so wie wir uns heute an den Kopf reichen, wenn wir an die „Deppen“ denken, die bei der Tulpenmanie reingefallen sind, so denken in ein paar hundert Jahren vielleicht unsere Nachfahren an die „Blödmänner“ aus dem 21. Jahrhundert, die so dämlich waren, ihre Häuser gegen einen Block gelbes Metall zu tauschen. Zumal ein Haus seinen Bewohner vor Regen, Wind und Kälte schützt, während dieser Metallblock keine dieser Vorzüge hat.

Na ja, vor Regen könnte er vielleicht einigermassen schützen, wenn man ihn über den Kopf hält. Und wenn man stark genug ist, ihn nicht fallen zu lassen. Sonst würde man nämlich von seinem eigenen Reichtum erschlagen. Zum Glück kaufen die meisten Händler heute nur noch Buchgold, das doch einiges an Masse weniger mitbringt als ein Goldbarren.


Und noch ein Tipp zum Schluss: Tauschen Sie Ihr Haus weder gegen Tulpenzwiebeln noch gegen einen Goldbarren. Sie könnten es vielleicht bereuen!

Montag, 23. Dezember 2013

„Sie, wo geht’s denn hier zum Reichsmuseum?“

Beim Vorhang links! Oh, pardon, ich wollte Sie nicht verarschen. Im Gegensatz zu anderen…

Aber fangen wir doch von vorne an. Vor einiger Zeit hatte ich eine Lesung in Basel und las dort aus meinem Buch „Das Geheimnis vom IJsselmeer“. Eingeladen wurde ich von der Gesellschaft Schweiz-Holland, Sektion Basel. Erwartet hatte ich etwa 20 Zuhörer, schliesslich waren es jedoch fast 60, der Saal war riesig, Mikrofon gab es keines, weshalb ich so laut sprach, dass ich schlussendlich fast heiser war. Und das Publikum war wahrlich hochkarätig! Der Niederländische Generalkonsul war anwesend und neben mir sass ein Professor für spanische Literatur, welcher an der Universität Basel arbeitet.
 
Mein Buch
 
 
Der Rest des Saales war hauptsächlich von Niederländerinnen und Niederländern besetzt. Niederländer, die der deutschen Sprache zumindest einigermassen mächtig sind – sozusagen das Zielpublikum für mein Buch!

Es wurde dann auch eine recht erfolgreiche Veranstaltung, über 10 Bücher konnte ich verkaufen. Und das anschliessende Essen – eine Indonesische Rijsttafel – war ausgezeichnet. Doch dann war da eben noch diese Anekdote mit dem Reichsmuseum…

Nun, einige Leser meines Buches sind der Ansicht, dass die Deutschen in meinem Buch ein bisschen schlecht wegkämen. Nun ja, so schlimm kann’s nicht sein, schliesslich wurde das Buch von einem deutschen Verlag herausgegeben und der Lektor, der ebenfalls der deutschen Nationalität angehört, hat sich auch nicht beschwert. Aber in meinem Buch wird ab und zu der Zweite Weltkrieg angeschnitten und dass die Deutschen in dieser Periode nicht gerade eine überaus glorreiche Figur abgegeben haben, ist weiss Gott nicht mein Fehler. Auf jeden Fall habe ich an jenem Abend noch ein persönliches Erlebnis erzählt, das ich einmal mit einem arroganten Deutschen in den Niederlanden hatte. Dieser Tourist steuerte gezielt auf mich zu und rief schon von weitem: „Sie, wo geht’s denn hier zum Reichsmuseum?“ Ja, hallo, wie wär’s zuerst mal mit „Guten Tag“ oder so? Aber das dachte ich nur und sagte es nicht. Egal, ich erklärte ihm dann den Weg und bereue es noch heute, dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte, als er merkte, dass ich ihn statt zum Reichsmuseum zum Zoo geschickt hatte…

Ich habe ehrlich gesagt nicht unbedingt damit gerechnet, dass Angehörige der deutschen Nationalität im Publikum sitzen. Die betreffende Dame jedoch hat sich im Anschluss energisch bei mir beschwert. Dabei habe ich doch nur ein persönliches Erlebnis erzählt!

Irgendwann kam noch die Frage aus dem Publikum (ich glaube, sie kam vom Konsul), wo ich die Gemeinsamkeiten zwischen den Schweizern und den Niederländern sähe. Ehrlich gesagt, auf die gegenteilige Frage wäre ich besser vorbereitet gewesen. Aber Gemeinsamkeiten haben wir so viele! Wir sind beides Menschen, leben beide in Europa, wohnen beide in Häusern, fahren beide mit der Eisenbahn, dem Auto und dem Fahrrad (wobei die Niederländer bei letztgenanntem Fahrzeug sicherlich die Nase vorne haben), benützen zum Schlafen beide ein Bett,… und bevor ich meinen letzten Leser verliere, breche ich jetzt hier ab.

Etwas, das die Schweiz und die Niederlande ganz speziell verbindet, ist der Rhein. Dieses blaue Band, das die beiden Länder wie eine Paketschnur aneinanderbindet, auch wenn der Fluss beim Queren der deutsch-niederländischen Grenze den Namen wechselt und als „Waal“ die letzten gut 100 Kilometer bis zur Nordseemündung zurücklegt. Ja, wenn ich in Solothurn in die Aare spucke, kann es sein, dass zwei Wochen später ein niederländischer Fisch an meinem Schleim erstickt. Und wenn nicht, wird meine Spucke an Rotterdam vorbei in die Nordsee gespült, bei Hoek van Holland und landet am Schluss vielleicht am nahen FKK-Strand. Doch was dort mit meiner Spucke geschehen könnte, darüber breiten wir jetzt den Mantel des Schweigens, bevor es hier noch zu Sauereien kommt.

Ja, was bleibt als Fazit? Ein herzlicher Dank an die Gesellschaft Schweiz-Holland für die Einladung! Und für alle Deutsche noch folgender Hinweis: Arroganz ist keine Frage der Nationalität, sondern der persönlichen Einstellung. Ich kenne auch arrogante Schweizer und Niederländer, dafür bin ich schon unzähligen sehr netten Deutschen begegnet. Na ja, sagen wir, zumindest einigen.

Ach, Sie haben mein Buch noch gar nicht gelesen? Das nenne ich aber eine Bildungslücke! Aber Sie können das nachholen! Klicken Sie hier für nähere Infos!

Sonntag, 10. November 2013

"Es isch nümm wie aube"

Oder für alle, die des berndeutschen Dialekts weniger mächtig sind: Es ist nicht mehr wie früher. Oder auch: Früher war alles besser. Solche Sätze hört man oft. Doch ist das wirklich so? War früher wirklich alles besser?
 
Um das zu beurteilen, müsste man erst einmal wissen, was heute denn als besonders schlecht beurteilt wird. Vielleicht die Arbeitslosenquote? Die Kriminalität? Die höheren Lebenskosten? Der Stress? Die vielen Asylbewerber? Die heutige Jugend ohne Anstand? Die überrissenen Managerlöhne? Die Weltwirtschaftskrise? Vielleicht sehnen wir uns auch an jene Zeit zurück, als noch Dampfzüge gemütlich durchs Land tuckerten und als die Kinder (also wir damals) noch draussen mit Freunden spielten und herumrannten anstatt vor dem PC zu sitzen. Als wir noch miteinander sprachen anstatt zu chatten und SMS zu schreiben.
 
War früher also wirklich alles besser? Stichwort Arbeitslosenquote: Sie war schon immer Schwankungen unterworfen. 1937 beispielsweise lag die Arbeitslosenquote in der Schweiz bei 4.5%, 1997 bei knapp 6% und heute liegt sie bei ca. 3%. Dazwischen gab es immer wieder Phasen, wo sie zwischen 0 und 1% lag, nach dem Zweiten Weltkrieg mussten sogar tausende ausländische Arbeitskräfte in die Schweiz geholt werden (vornehmlich aus Italien), um den Bedarf der schnell wachsenden Wirtschaft zu decken.
 
Stichwort Kriminalität: Sie mag in den letzten Jahrzehnten tatsächlich gestiegen sein. Jedoch gab es auch früher in der Schweiz immer wieder Gewaltexzesse. Terror in der Schweiz: 1969 Attentat in Kloten auf israelisches Flugzeug; 1970 Anschlag auf Swissair-Maschine, welche danach bei Würenlingen abstürzte, 47 Tote. Unruhen: Landesgeneralstreik in der Schweiz 1918; hunderttausende Menschen waren unzufrieden wegen sozialer Ungerechtigkeit, Armut und Existenznöten. Und das in der „guten alten Zeit“. In den frühen 1980er Jahren kam es zu Jugendunruhen in Zürich mit hunderten von Verletzten, Vandalismus und Sachschäden in Millionenhöhe. Kindsentführungen: In den 1980er Jahren verschwanden in der Schweiz etliche Kinder spurlos, von einigen wurden später die Leichen gefunden, mehrere blieben verschollen. Viele Fälle sind bis heute ungeklärt.
 
Landesstreik 1918 - Armeeangehörige bewachen die Eingänge des Bundeshauses vor dem wütenden Volk
 
Stichwort Asylbewerber: Auch hier gab es immer wieder Flüchtlingswellen. 1956 flohen 12‘000 Ungaren in die Schweiz, 1968 ebensoviele Tschechoslowaken nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. In den 1970er und 80er Jahren kamen über 8000 Vietnamesen. Und auch damals gab es schon Spannungen und Ängste in der Bevölkerung.
 
Stichwort heutige Jugend: Bereits vor zweieinhalbtausend Jahren sollen sich griechische Denker und Schriftsteller über den Zerfall von Sitten und Respekt bei der „heutigen Jugend“ beschwert haben. Es scheint normal zu sein, dass Alte in jeder Epoche über die aktuelle Jugend jammern. Bestimmt ist auch die jugendliche 68-Bewegung bei der älteren Bevölkerung nicht auf übermässig viel Verständnis gestossen.
 
Stichwort Weltwirtschaftskrise: die gab es immer wieder. Um 1930 ereignete sich ein enormer Börsencrash, der auch in der Schweiz zu vielen Arbeitslosen führte. Bereits im 17. Jahrhundert bildete sich in Holland eine Blase, als die Tulpenpreise astronomische Höhen erreichten, bis sie auf einmal in den Keller fielen. In unserer Zeit ist es der Goldpreis, der in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist, um dann im Frühjahr 2013 rund einen Drittel seines Wertes zu verlieren. Die Bilder gleichen sich. Haben wir eigentlich nichts aus der Geschichte gelernt?
 

Rümlingen an der alten Hauensteinstrecke während dem Dampfzeitalter
 
Bestimmt waren früher einige Dinge besser als heute. Die Kinder heute sind im Durchschnitt schwerer und unsportlicher als früher. Ja, vor PC konnten wir nicht sitzen, den gab es damals ja noch nicht. Wir spielten lieber draussen. Natürlich war die Zeit damals weniger stressig, natürlich ging die Lohnschere weniger weit auseinander, natürlich war das Bahnfahren mit den Dampfzügen noch ein Erlebnis. Trotzdem ist der ÖV heute viel dichter und die Niederflurzüge, -trams und –busse ermöglichen auch behinderten Menschen ein gewisses Mass an Freiheit, wie es früher nicht üblich war. Die medizinische Versorgung ist heute besser; Pandemien wie die Spanische Grippe 1918, welche alleine in der Schweiz über 24‘000 Tote forderte, würden heute wohl bedeutend glimpflicher verlaufen.
 
Aber es gab auch ganz dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte, zum Beispiel jenes der Verdingkinder; Kinder, welche bis in die 1960er Jahre von fremden Familien teilweise wie Sklaven gehalten, erniedrigt, ausgebeutet und missbraucht wurden. Unverheiratete Frauen wurden ihrer Kinder beraubt und häufig als Zwangsmassnahme sogar sterilisiert. In einigen Kinderheimen wurden Kinder mit Gewalt konfrontiert, missbraucht und teilweise sogar richtiggehend gefoltert. Und das in der „guten alten Zeit“. Die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels hat erst vor kurzem begonnen.
 
Wo also ist die gute alte Zeit? Warum finden wir sie nicht? Weil es sie nie gab! Jede Zeitepoche hat ihre positiven und ihre negativen Seiten, die vergangenen genauso wie die heutigen. Und trotzdem ist es doch so schön, von guten alten Zeiten zu träumen!
 
Halten wir doch einfach die positiven Seiten vergangener Tage in guter Erinnerung und erfreuen wir uns an den positiven Seiten der heutigen Zeit. Und vielleicht werden es einmal unsere Kinder sein, die irgendwann sagen werden: „Damals, 2013, als ich noch ein Kind war, da war die Welt noch in Ordnung…“

Montag, 4. November 2013

Zeeland

"Erik bleibt noch einige Minuten am Strand sitzen und geniesst den Blick hinaus auf die Wasserfläche. Als er nach rechts schaut, sieht er eine grosszügige Wehranlage. Das muss jenes Werk sein, von dem der Kirchturmeintrittskartenverkäufer in Middelburg gesprochen hat. In regelmässigen Abständen gibt es eine Art Turm, worauf es jeweils zwei lange, senkrecht aufgerichtete Stangen oder Rohre gibt. Sie sehen aus wie Schornsteine, doch Erik vermutet, dass diese Dinger eine andere Funktion haben. Er geht jedenfalls nicht davon aus, dass das Flutwehr dampfbetrieben ist."

Aus: Das Geheimnis vom IJsselmeer, ISBN 9783944224701

Mehr Infos

Oosterscheldekering in Zeeland

Dienstag, 8. Oktober 2013

"Sammlet ehr Märggeli?"

Neulich an der Kasse eines Grossverteilers. Vor mir eine Dame im Rentenalter, die offenbar gerade ihren Montagvormittagseinkauf erledigt. Oder eher ihren Montagmittagseinkauf, schliesslich ist es kurz vor halb eins. Hinter mir ein Mann im erwerbstätigen Alter, der nur ein Getränk und ein Sandwich auf das Band legt.

Die Kassiererin scannt die Artikel der älteren Dame, eines ums andere, mit Bewegungen, welche irgendwie mechanisch wirken. Zwieback, ein Frühstücksmüesli, Lippenstift …? Mein Blick wandert automatisch zum Mund der Dame. Hm, muss für ihre Tochter sein…

Die Kassiererin nimmt den letzten Artikel in die Hand. Doch der Scanner erfasst das Ding nicht. Offenbar wurde die Etikette mit dem Barcode auf diesem Hinterschinken – beziehungsweise auf seiner Verpackung – nicht sorgfältig genug aufgeklebt. Sie nimmt den Handscanner und lässt das rote Licht aus den unterschiedlichsten Winkeln auf den Barcode fallen. Kein Erfolg; auch nicht, nachdem sie energisch über das Etikett gerieben hat.

Obwohl ich hinten keine Augen habe, spüre ich förmlich, wie der Typ hinter mir auf die Uhr schaut. Es ist naheliegend, dass er einfach möglichst schnell sein Sandwich verdrücken und dann wieder zu seiner stressigen Arbeit will. Inzwischen hat die Kassiererin den Code manuell eingetippt und verkündet die Summe, gefolgt von der Frage: „Heit ehr no en Supercard?“

Die Rentnerin nickt und macht sich in ihrem Portemonnaie auf die Suche nach besagter Karte. Mein Gott, weshalb beherbergt das Portemonnaie einer Dame dieser Altersklasse einen derartigen Kärtchenwald? Die Suche zieht sich in die Länge, während ein leises Trommeln an mein Ohr dringt. Ich blicke kurz über meine Schulter. Der Mann hinter mir trommelt mit den Fingerspitzen auf das Band. Nervosität liegt in der Luft.

Endlich findet die Dame ihre Supercard, zwischen der Visitenkarte ihrer Spitex-Betreuerin und der Kundenkarte eines anderen Grossverteilers. Die Karte wechselt in die Hand der Kassiererin, wird gescannt und wandert wieder zur Kundin zurück, welche sie äusserst sorgfältig verstaut, um sie nächstes Mal schneller wieder zu finden. Dann ergreift sie eine Hunderternote und übergibt sie der Kassiererin, um gleichzeitig zu verkünden: „Fünfunddreissig Rappen habe ich noch!“

Sie öffnet das Münzfach ihres Portemonnaies und dreht und wendet das Ding, offenbar, um ein wenig mehr Licht zu erhaschen. „Ach, ich sehe einfach nicht mehr gut!“, jammert sie und kurzerhand leert sie den gesamten Inhalt des Münzfaches auf den Tresen. Gleichzeitig höre ich hinter mir einen langgezogenen Seufzer, dann spüre ich warmen, nicht gerade geruchsneutralen Atem in meinem Nacken.



Ein Einfränkler fällt herunter, kullert über den Boden und bleibt vor meinen Füssen liegen. Ich habe ihn auf und halte ihn der alten Dame hin. „Der ist Ihnen runtergefallen.“ Die Kassiererin hat inzwischen 35 Rappen aus dem Münzhaufen entnommen und bittet die Kundin, den Rest wieder einzupacken. Kurz darauf reicht sie ihr das Retourgeld zusammen mit der Kassenquittung.

Doch wer glaubt, dass das Einkaufserlebnis der Rentnerin damit zu einem Ende gekommen ist, sieht sich mit anderen Tatsachen konfrontiert. Erneut höre ich die Stimme der Kassiererin: „Sammlet ehr Märggeli?“, vorgetragen in einer Langsamkeit, wie es nur eine Bernerin hinkriegen kann. Und ja, natürlich sammelt die Kundin Märggeli, schliesslich sind wir ja ein Volk von Jäger und Sammlern. Langsam zählt die Kassiererin die Märggeli ab, reisst einige von der Rolle und übergibt sie der Kundin, um sich dann von ihr zu verabschieden und ihr einen schönen Tag zu wünschen, ohne ihr Gesprächstempo auch nur im geringsten zu steigern.

Kommt ihnen das bekannt vor? An der Supermarktkasse kommen eben die unterschiedlichsten Leute zusammen: der Achtjährige, der nur seinen Kaugummi kaufen will und die paar Zehnräppler schon auf den Tresen legt, lange bevor der Artikel gescannt ist. Die Oma, die für ihren täglichen Haushaltseinkauf alle Zeit der Welt hat und der gestresste Erwerbstätige, der selbst in der Mittagspause noch vom Stress verfolgt wird. Da ist wahrlich Toleranz gefragt. Vielleicht könnte man ja auch für einmal auf das Scannen der Supercard verzichten, wenn man sie nicht auf Anhieb findet, denn die paar Punkte, welche einem da durch die Lappen gehen, sollten eigentlich niemandem schlaflose Nächte bereiten. Und vielleicht könnte man den Stress ja auch einmal im Büro oder auf der Baustelle lassen? Wenn das nächste Mal Ihr Geschäftstelefon klingelt, lassen Sie es doch einfach einmal länger klingeln. Schliessen Sie kurz Ihre Augen und atmen Sie ganz tief durch. Falls das Telefon danach immer noch klingelt, können Sie den Anruf immer noch entgegen nehmen. Probieren Sie es aus! Es wirkt Wunder!

Und an der Supermarktkasse wünsche ich Ihnen viel Toleranz!

Und genauso viel Geduld!

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Ironie des Schicksals

Das Schicksal folgt manchmal einer komischen Logik. Nein, eigentlich folgt es überhaupt keiner Logik. Wie sonst lassen sich solche Schicksale erklären, wie das folgende, auf welches ich kürzlich gestossen bin?

Robert Douglas Spedden wurde am 19. November 1905 geboren und lebte zusammen mit seinen vermögenden Eltern in den USA. Den Winter verbrachte die Familie üblicherweise in Europa, so auch den Winter 1911/1912, als sie in der Mittelmeerregion unterwegs war. Im April machten sie sich auf die Heimreise. In Cherbourg bestiegen sie einen Liniendampfer nach New York. Der Name des Schiffes: Titanic. Es gibt ein Foto, das den kleinen Douglas an Deck des Schiffes zeigt, wie er mit seinem Kreisel spielt.

Douglas Spedden spielt an Deck der Titanic mit seinem Kreisel

Die nun folgende Schiffskatastrophe ist uns allen bekannt. Aber die Speddens hatten Glück: Die Mutter erwachte nach der Kollision mit dem Eisberg wegen den unüblichen Maschinengeräuschen. Sie verliess die Kabine und stellte fest, dass das Schiff bereits leicht in Schieflage war. Schnell weckte sie ihren Mann, ihren kleinen Sohn sowie die beiden jungen Frauen, die als Dienst- und Kindermädchen mit ihnen mitfuhren. Zusammen erreichten sie das Bootsdeck. Da sie früh dran waren, gelangten sie noch ohne Hektik in ein Rettungsboot und da zu diesem Zeitpunkt keine Frauen und Kinder in der Nähe waren, durfte auch der Familienvater einsteigen.

Der kleine Douglas zeigte sich offenbar ziemlich unbeeindruckt von der ganzen Katastrophe. Er soll im Rettungsboot fast die ganze Zeit verschlafen haben. Schliesslich gelangte die junge Familie unbeschadet nach Hause.

Als Erinnerung an diese Reise bekam Douglas zu Weihnachten 1913 von seiner Mutter ein Bilderbuch, das sie speziell für ihn gezeichnet und geschrieben hatte. Es war die Geschichte eines kleinen Teddybären, der mit seinem Besitzer Douglas durch Europa reist und danach den Untergang der Titanic miterlebt. Später wurde das Buch unter dem Titel „Polar, der Titanic-Bär“ veröffentlicht.

Für einmal ein Titanic-Schicksal mit Happy-End? Leider nein. Im Sommer 1915 rannte der inzwischen neunjährige Douglas einem Ball hinterher auf die Strasse, wurde von einem Auto erfasst und kam ums Leben. Es war eine der ersten Autounfälle in den Vereinigten Staaten.


Ist das fair? Man überlebt den Untergang der Titanic und stirbt danach bei einem simplen Verkehrsunfall? Vielleicht ist es auch einfach ein Hinweis darauf, das Leben zu geniessen, solange man es kann. Überlebende der Titanic-Katastrophe und anderer Tragödien betonten und betonen oft, wie sehr dieses Unglück ihnen vor Augen geführt habe, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Und dass man jeden Tag geniessen soll. Nehmen wir uns doch ein Vorbild und betrachten wir jeden Tag als Geschenk! Auch wenn wir nie ein Schiff besteigen sollten. Aber eine Strasse überqueren wir alle einmal…

Freitag, 27. September 2013

Das Lieblingshobby der Schweizer

Na, was könnte wohl das Lieblingshobby der Schweizer sein? Vielleicht Jassen? Wird sicher auch häufig gemacht. Aber ich denke, es gibt noch ein grösseres Hobby, und JA, es beginnt auch mit JA…: JAMMERN!

Gejammert wird eigentlich über alles: über das Asylwesen, über den Lohn, über die Krankenkassenprämie, über den Preis der Autobahnvignette, über die Unpünktlichkeit der SBB… Und gejammert wird überall: auf dem Bahnsteig, an der Bushaltestelle, am Stammtisch (dort besonders ambitioniert), beim Znüni usw. Und wenn bei gewissen Leuten mal der Internet-Anschluss wegen einer technischen Störung für eine Stunde nicht verfügbar ist, dann scheint der Weltuntergang nur noch eine Fussbreite entfernt zu sein.

Aber haben wir eigentlich Grund zum Jammern? Leben wir in einem Land, in welchem alles schiefläuft? Bringt das Jammern etwas? Verändern wir etwas damit? Einen Verdacht werde ich nicht los: je stärker jemand verwöhnt ist, desto mehr jammert er…

In Afrika existieren Menschen, welche tagtäglich 12 Kilometer laufen, um bei einem Brunnen Wasser für den täglichen Gebrauch zu holen. Und diese Menschen haben noch Glück, überhaupt Zugang zu sauberem Trinkwasser zu haben. Wir allerdings können den Wasserhahn aufdrehen und das kostbare Nass sprudelt uns entgegen.

Komischerweise jammern diese wasserschleppenden Afrikaner nicht. Sie nehmen ihr Schicksal wie es ist und machen das Beste daraus. Sie kämpfen jeden Tag erneut um ihr Leben und geniessen dieses trotzdem. Es sind Menschen, die mit wenig zufrieden sind. Menschen, die meinen grössten Respekt verdienen. Menschen, die wahrscheinlich nur ein müdes Lächeln übrig hätten für unsere Probleme, über welche wir hier jammern. Und es sind Menschen, von denen wir verwöhnten Schweizer so einiges lernen könnten.

Anstatt mein sauer verdientes Geld in irgend eine politische Partei zu investieren, welche im Bundeshaus auf Kindergartenniveau herumzankt und damit auch das Jammern noch zusätzlich ankurbelt, spende ich es lieber einer Organisation, welche damit Brunnenprojekte in Afrika finanziert. Damit besagte Menschen dereinst vielleicht nur noch sechs Kilometer laufen müssen zum nächsten Brunnen und sie dadurch ein kleines bisschen mehr Lebensqualität kriegen. Auch ohne fliessendes Wasser.




P.S: Eines möchte ich noch klarstellen: Ich will niemanden vom Jammern abhalten. Falls auch Sie diesem Hobby frönen, dann jammern Sie ruhig weiter! Wäre doch schade aufzuhören, wo Sie es inzwischen doch so gut beherrschen.